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Katalog 2005, Text von Prof. Johano Strasser - Das Atelier

Wenn wir von Kunst sprechen, meinen wir meistens die bildende Kunst, so wie wir unter Künstler in erster Linie Zeichner, Maler oder Bildhauer verstehen, erst in zweiter auch Schriftsteller, Komponisten oder Schauspieler. Das war schon in der Schule so, wo der Kunstunterricht sich nicht mit der Fülle der künstlerischen Ausdrucksformen, sondern allein mit der bildenden Kunst befasste. Und doch vermittelte mir der Kunstunterricht, mehr als der Deutsch- und der Musikunterricht, eine Ahnung von dem, worum es in der Kunst überhaupt geht, weil unser Kunstlehrer uns nicht nur - mit mäßigem Erfolg - die Anfangsgründe des Zeichnens und Aquarellierens vermittelte, sondern zugleich eine, wenn auch vage, Vorstellung von einem anderen, einem künstlerischen Leben.

Der Ort, an dem dieses künstlerische Leben sich in meiner Vorstellung abspielt, ist das Atelier. Wenn ich das Atelier eines Malers oder einer Malerin betrete, habe ich immer das Gefühl, in einen Bezirk zu gelangen, in dem die Gesetze des normalen Lebens aufgehoben und die eines eigentlicheren in Geltung gesetzt sind. Auch die anderen Künste haben ihre Orte: Beethovens Geburtshaus, der Schreibtisch Thomas Manns, das Cafe Flore, in dem Sartre ein und ausging. Im Bloch-Zentrum in Ludwigshafen kann man, über eine dicke Glasscheibe schreitend, von oben in das Arbeitszimmer des Meisters schauen: unten der Originalschreibtisch mit dem Originalfüllfederhalter und einer Originalmanuskriptseite des "Prinzips Hoffnung". Aber nirgends ist die Aura des Schöpferischen so unmittelbar präsent wie in einem Maleratelier.

Das französische Wort atelier heißt ursprünglich Werkstatt. Noch heute heißt im Französischen auch die Werkstatt des Schreiners oder des Polsterers atelier. Das Atelier ist ein Ort, an dem etwas Handgreifliches, etwas sinnlich Fassbares hergestellt wird. Der im Wort Atelier steckende Bezug zum Handwerk gilt auch für das Maleratelier. Es ist ein Ort an dem sich der Geist materialisiert, an dem Ideen, Vorstellungen, Visionen in sichtbare und begreifbare Dinge verwandelt werden, ein Ort der Transsubstantiation, nicht weniger geheimnisvoll als der Altar, an dem Brot und Wein in den Leib Christi verwandelt werden.
Die Produkte von uns Schriftstellern, auch wenn sie noch so sehr in färben- und sinnenfrohen Vorstellungen schwelgen, bleiben dagegen vergleichsweise abstrakt. Ein aufgeschlagenes Buch vermittelt nie jene unmittelbare Einheit von Materialität und Geist aus, die ein Bild oder eine Skulptur ausstrahlt. Während die Literatur auf Einbildung setzt, d.h. mit Hilfe äußerlicher Zeichen Bilder im Kopf erzeugt, geht es der Malerei im Wortsinn um Aus-Bildung, um die Umsetzung innerer Bilder, Vorstellungen, Ideen ins Außen. Und nie wird Schöpfung anschaulicher, als wenn die schöpferische Idee vor unseren Augen konkrete Gestalt annimmt.

Wenn ich das Atelier von Malerfreunden betrete, wird mir dies stets aufs Neue bewusst. Ich sehe die Bilder, die an der Wand hängen oder an sie gelehnt auf dem Fußboden stehen, und es ist mir, als glühten sie noch von der Energie, mit der sie aus dem Kopf des Malerdemiurgen in die Wirklichkeit gestoßen wurden. Merkwürdige Zwitterwesen sind diese Bilder, halb Materie, halb Geist. Sie gehören zur konkreten Welt, die uns umgibt, und gehören ihr doch nicht ganz. Der Rahmen macht es deutlich: sie sind Teil der Schöpfung und doch aus dem Kontinuum der Schöpfung herausgehoben; sie sind nicht ganz von dieser Welt.

In diesem Sinn ist jedes Bild eine Utopie, weil es, obwohl hier und jetzt an einen Ort gebunden, doch auf einen Nicht-Ort verweist. Jedes Kunstwerk, wenn es sich zurecht so nennen darf, hat dieses Moment der Transzendenz, aber nirgends wird es so unmittelbar erlebbar wie in der Malerei. Wie das einzelne Bild, so ist auch das Atelier aus der uns umgebenden Welt herausgeschnitten; trotz der handwerklichen Nüchternheit, die darin herrscht, ist es für mich immer auch ein Ort mit der Aura des Utopischen.

Dazu passt es gut, dass seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, besonders in der Maler-Boheme, das Atelier auch zu einem Ort lustvoller Überschreitung bürgerlicher Konventionen und utopischer Lebensexperimente wurde. Vor allem im Atelierfest verband sich das Demiurgische mit dem Dionysischen, wurde die Materialisierung des Geistes durch eine rauschhafte Dematerialisierung des Lebens zugleich konterkariert und ergänzt. In meiner Vorstellung von einem Maleratelier schwingt bis heute immer beides mit, weshalb ich diesen Ort nicht betreten kann, ohne einen heiligen Schauer zu verspüren und zugleich - als ironische Begleitmusik - ein orgiastisches Höllengelächter zu hören.

Johano Strasser